Klare Verhältnisse
Mit einem Dorf ist es wie mit einer Wohnung. Einige Räume
nutzen alle Bewohner dieser Bewohnung gemeinsam, so wie die Küche oder das
Badezimmer oder das WC. Andere wiederum sind für den exklusiven Gebrauch
vorbehalten. So longieren im Kinderzimmer – wie der Name schon sagt – die
Kinder, wohingegen die Erwachsenen sich in der Regel das sog. „Schlafzimmer“
teilen. Daran wird sich auch keiner kehren, doch wenn dieses Prinzip auf den
öffentlichen Raum übertragen wird, so werden immer wieder Stimmen laut, die
sich dagegen aussprechen. Sofort wird von Ausgrenzung gesprochen. Doch wofür
dienen diese separaten Räume? Dazu, dass Menschen auch für sich sein können
bzw. unter Ihresgleichen. So ist es doch legitim, dass sich – wiederum auf den
öffentliche Raum bezogen – auf einem Kinderspielplatz Kinder tummeln. Die
notwendigen Aufsichtspersonen müssen sich natürlich auch dort aufhalten. Doch
wenn nun ein Schild aufgestellt wird, dass sich hier nur mehr Kinder und deren
Aufsichtspersonen hier aufhalten dürfen, dann geht das große Geschrei los warum
der nun für diese Personengruppe reserviert ist. Natürlich wollten sie nicht am
Spielplatz gehen, aber sie wollen sich zumindest dafür entscheiden können sich
dagegen zu entscheiden. Ebenso verhielt es sich mit den Kaffeehäusern als dort
noch geraucht werden durfte. Mitten drinnen saßen immer wieder Mütter mit
kleinen und kleinsten Kindern, die sich über das Rauchen beschwerten. Nun,
warum mussten sie hineingehen? Umgekehrt gilt jetzt, da nicht mehr geraucht
werden darf, dass ich nicht hineingehen muss, wenn es mir nicht gefällt. Kurz
gesagt, immer wieder fanden und finden sich Menschen, die sich über irgendetwas
beschwerten. Nun soll dem endgültig ein Riegel vorgeschoben werden. Damit jeder
unbehelligt unter sich sein kann, werden entsprechende Räume für bestimmt
Gruppen geöffnet. So wird angedacht einen Kleinkindbereich zu machen, für jene
Altersgruppe, die einer Aufsichtsperson bedürfen – daneben wird es
selbstverständlich auch einen solchen für alte Menschen mit eben solcher
Bedürftigkeit geschaffen. Des Weiteren wird es einen Bereich für Jugendliche
geben, der sich vor allem durch schalldichte Isolierung und unzerstörbare Wände
auszeichnet, so dass sie toben und randalieren können wie sie wollen. Die, die
sich gut benehmen erhalten einen Raum, der nichts enthält als Steckdosen und
freien Internetzugang, so dass sie sich unkommunikativ und unproduktiv dem
Genuss elektronischer Geräte hingeben können. Auch wird es einen Bereich für
Hundemenschen geben, und weit weg einen solchen für Hundegegner. Da können sich
dann beide Gruppen austauschen und beweihräuchern wie wir es von unseren
Kirchen gewöhnt sind. Ebenso notwendig erscheinen Räume für die Ausübung der
verschiedensten Laster, wie des Rauchens und des Exhibitionismus. Besonders die
Forderung „Exhibitionisten unter sich“ stieß auf großes Wohlwollen und eine
große Bereitschaft der Annahme des Beschlusses. Unklar ist jedoch noch wohin
mit desorientierten Männern, die verlassen wurden oder verzweifelten
Funktionären, für die beim besten Willen kein Posten mehr gefunden werden
konnte. Aber vielleicht kann für diese ein entsprechendes Flüchtlingsheim
errichtet werden, so dass der Bund für die Lebenshaltungskosten aufkommen muss
– denn für beide Gruppen gilt, dass sie verbrannte Erde gleich einem Kriegsgebiet
hinter sich lassen, so dass es durchaus legitim ist von Kriegsflüchtlingen zu
sprechen. An der Anerkennung wird noch gearbeitet. Zuletzt darf auf die
Hausfrauenriege nicht vergessen werden, die nach erfolgreicher Entlassung der
Kinder in ein eigenes Leben und ebensolcher Scheidung vom untreuen Ehemann nun
– gut geschieden – ganz alleine in einer noblen Unterkunft sitzen und die Hände
in den Schoß legen müssen. Wenn diese mit den Funktionären oder den
ausgesetzten Männern zusammengebracht werden könnten, erfolgreich an deren
Mutter- bzw. Beschützerinstinkt appellierend, bevor sie auf die Idee kämen sich
einen Hund oder eine Katze anzuschaffen, wären alle drei Gruppen versorgt, und
es wäre endlich Platz für einen gemütlichen Heurigen, reserviert für Bürgermeister
und andere hochstehende Persönlichkeiten. Und dann würden auch endlich klare
Verhältnisse herrschen.
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