Montag, 21. September 2015

Innenpolitik, 21. September 2015:


Schön, schöner, Mustermannshausen

Mit allem Fug und Recht und Nut und Nagel ist Mustermannshausen und auch die Bewohner mitunter stolz darauf, viele Jahre hintereinander zum mustergültigsten Musterort im gesamten Bezirk gewählt worden zu sein, doch immer gibt es Menschen, denen das nicht genug ist. Nun kommt der Bahnhof in den Fokus der Kritik. Wird auch hier unser sehr verehrter Herr Bürgermeister Max Mustermann eine seiner mustergültigen Musterlösungen finden? Ein Augenzeugenbericht von Frau Dr. Helene von Herzfeld.

Trotz aller Mustergültigkeit kommen immer wieder Beschwerdepunkte, die direkt in den „Wilden Ochsen“ getragen werden, in dem man am ehesten das Vergnügen hat dem Gemeinderat samt Bürgermeister zu begegnen. So auch diesmal. Ein Fremder, ja, man muss dieses Wort verwenden, nicht nur zur Differenzierung, sondern auch, denn das bedeutet, dass dieser keine Kommunalsteuern entrichtet, aber dennoch die hiesigen Straßen ablatscht und die Bänke im Park sitzend durchscheuert, aber auf Grund der Weltoffenheit, wird auch diesem Gehör geschenkt. Im Mittelpunkt steht hierbei der dem Ort eigene Bahnhof, respektive das Bahnhofsgebäude, denn an den Schienen selbst lässt sich schwer was ändern. Es sähe alt, verwahrlost, grau und wenig einladend aus. Dies wurde also zur Vormittagsstunde dem Bürgermeister samt anwendenden weiteren Gemeinderatsmitgliedern zu Gehör gebracht, während der Reporter des Mustermannshausischen Kuriers eifrig mitschrieb, denn das Gefühl einem historischen Augenblick beiwohnen zu dürfen, lag in der Luft. Dieses wurde ergriffen und mir mitgeteilt. Ruhig und gelassen hörte sich der Herr Bürgermeister die Anfrage an und trat sofort in Aktion. In der selben Minute noch, also in der nachdem er seine Jause und das Bier ausgetrunken hatte, aber dann wirklich sofort, traf er eine Entscheidung. Es müsse etwas geschehen. Deshalb setzte er sofort ein Konsortium ein. Ungefähr eine Stunde später, als die Konsortiumsmitglieder eingesetzt waren, wurde mit der eigentlichen Arbeit begonnen. Die gerade frisch ernannten Mitglieder setzten auf der Stelle drei Arbeitsgruppen ein. Diese Arbeitsgruppen bekamen jeweils eine schwerwiegende Arbeitsaufgabe gestellt. Die erste sollte einen Namen finden. Die zweite war für die Pressearbeit zuständig. Und die dritte, letzte und vergleichsweise unwichtigste, sollte sich damit befassen Ideen zu sammeln und Pläne auszuarbeiten, so dass schon baldmöglichst Ergebnisse vorliegen würden.

„Alles muss gut durchdacht sein, denn mit übereiltem Aktionismus hat man noch nie was Ordentliches auf die Beine gestellt“, erklärte Max Mustermann, Bürgermeister, gedehnt.
„Und wann wird man die Verbesserung bewundern können?“, mischte sich der Reporter an seiner Seite ein.
„Immer dieser Druck von allen Seiten. Man sieht ja was rauskommt, wenn die Menschen unter Druck stehen, wenn man Ihre Artikel liest. Aber ich sage mal, bis zur nächsten Wahl“, zeigte sich der Herr Bürgermeister offen und volksverbunden, wie er nun einmal ist, um nach einer kurzen Überlegung hinzuzufügen, „Wann sind die eigentlich?“
„Am 11. Oktober, Herr Bürgermeister. Also in knapp drei Wochen“, wagte der Reporter einzuwerfen.
„In drei Wochen? Dann sollen die Frauen vom Verschönerungsverein ran, Blumen aufhängen, solches Zeugs. Das gesamte Budget des Vereins soll ausgeschöpft werden. Dann sagt dem Pinselschwinger, dem Künstler Bescheid, der soll ein bisschen was anmalen, und gut ist es“, ordnete der Herr Bürgermeister an, „Denn wir dürfen nie vergessen, nur was schnell entschieden ist, ist gut entschieden.“

Und weil nur schnelle Entscheidungen gute Entscheidungen sind, bestellte sich der Herr Bürgermeister schnell noch ein Bier, während er sich von der rasanten Arbeit erholte.

Montag, 14. September 2015

Demokratie, 14. September 2015:


Anschauliches Lernen

Mustermannshausen, die mustergültigste Gemeinde von ganz überall, besticht durch sein ästhetisches Ortsbild ebenso wie die würde Präsentation der Einwohner. Alles wäre harmonisch, rund und präsentabel, wenn da nicht überall diese Wahlwerbeplakate wären. Dr. Helene von Herzfeld, ihres Zeichens führende Kultur- und Sozialanthropologin, fragt nach.

Frau Doktor Herzfeld durchschritt den Ort erstmals nach einer mehr oder weniger geglückten Ankunft am Hauptbahnhof und einem äußerst interessanten Gespräch mit dem ersten Ureinwohner, der ihr über den Weg lief, und der – zu ihrer nicht geringen Freude – ein Exemplar der weitverbreiteten Spezies „Beamte“ darstellte. Der Ort war zu diesem Zeitpunkt geradezu übersät mit großflächigen Plakaten von sämtlichen kandidierenden Parteien, wobei die Plakate ganz offensichtlich nicht nach Stimmenstärke verteilt worden waren, sondern zu gleichen Teilen, so dass sich die verschiedensten Couleurs munter abwechselten, was ein durchaus farbenfrohes Bild ergab, wobei auch hier darauf geachtet wurde, dass die Farben aufeinander abgestimmt waren. So war z.B. offenbar Wert darauf gelegt worden, dass nicht Rot neben Pink erschien, aber auch nicht Blau neben Schwarz, sondern immer Rot – Schwarz – Pink – Blau – Gelb – Grün. Gemeinsam hatten all diese Plakate, dass das Konterfei des Spitzenkandidaten darauf zu sehen war und ein vollmundiger Slogan zu brisanten Themen.

So war dem Plakat der sozialistischen Partei zu entnehmen:

„Stärkung des Arbeitnehmerstandes sichert Arbeitsplätze.“

Einige Schritte weiter war vom Plakat der Bürgerlichen zu erfahren:

„Stärkung des Unternehmerstandes sichert Wohlstand.“

Anschließend las man am Plakat der Pinken:

„Freies Unternehmertum und selbstverantwortliche Arbeitnehmer sichern den Wettbewerb.“

Noch einmal weitergegangen, verkündete das Plakat der Freiheitlichen:

„Einheimische Arbeitskräfte sichern einheimischen Konsum.“

Um gleich darauf zu einer gelben Parole überzuwechseln:

„Freies Unternehmertum für jeden.“

Den Abschluss bildete der grüne Standpunkt:

„Eine gesunde Umwelt sichert den wohlbewachten Markt.“

Ebenso aussagekräftige Sätze fanden sich zum Thema Bildung, Sicherheit u.v.m. Offenbar befand sich der Ort gerade in der heißen Phase einer Wahl. So lautete zumindest die Arbeitshypothese von Frau Dr. von Herzfeld, die sich eigentlich nie irrte, und selbst wenn es so aussah, lag der Irrtum stets bei ihrem Gegenüber. Dennoch handelte es sich nicht um einen direkten Wahlkampf, wie ihr versichert wurde, obwohl wir uns ja eigentlich immer im Wahlkampf befänden, so die einhellige Meinung der im „Wilden Ochsen“ vollzählig anwesenden Spitzenkandidaten, denn nach der Wahl sei schließlich wieder vor einer Wahl. Aber die Plakate dienten der Bildung.

„Wie sonst wüssten die Parteimitglieder welche Meinung sie zu vertreten hätten, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite die Wähler, was die Parteien verträten“, fasste der Herr Bürgermeister, Max Mustermann, die Intention hinter den Plakaten zusammen.
„Aber ich dachte immer, dafür gäbe es Parteiprogramme?“, fragte nun Frau Dr. von Herzfeld nach.
„Natürlich gibt es die“, mischte sich an dieser Stelle Siggi Schablone, Oppositionsführer, ins Gespräch, während der Herr Bürgermeister sich nicht ganz klar darüber zu sein schien was damit eigentlich gemeint war, „Aber es kann ja niemandem zugemutet werden, dass er die liest. Für die eine ausreichend politische Bildung des einfachen Bürgers genügen die Plakate. Damit ist alles Wesentliche gesagt. Kurz, prägnant und immer mit hübschen Bildern garniert.“

Eine wahrhaft epochemachende Errungenschaft auf dem Weg zu einer allumfassenden Demokratie.

Sonntag, 13. September 2015

Innenpolitik, 13. September 2015:


Lückenlose Überwachung

Vorreiterrolle hat der mustergültige Ort Mustermannshausen in einer strittigen Frage wieder einmal übernommen, denn wir fragen nicht nur, wir haben auch Antworten, und diese lautet, lückenlose Überwachung, abgesegnet durch den Souverän, das Volk.

In einer einmaligen Nacht, die wohl in die Geschichte der Gemeinde eingehen wird, als die Nacht, die alles zum Positiven veränderte, alle Missverständnisse und Unklarheiten aus dem Weg räumte und eindeutig die Position des Souveräns zur Geltung brachte. Natürlich war das Thema Überwachung auch bis zu uns vorgedrungen. Peinlich wurde dem jedoch aus dem Weg gegangen, denn es klang nach etwas Bösem, bis sich einige Bürger aufrafften, zu vorgerückter Stunde, im Wilden Ochsen, dem herausragenden Gasthaus in unserem Ort, sich des Themas einmal offen und vor allem vorurteilsfrei anzunähern. Endlich wurde darüber geredet ohne, dass jemand in eine politische Ecke verfrachtet wurde, und vor allem ohne Polemik. Dabei darf nicht übersehen werden, dass es bei uns, wie in jedem kleinen Ort, so etwas wie die NSA schon immer gegeben hat. Nur, dass diese ganz konkrete Namen hatte. Diese Personen bekamen Ehrentitel wie die Dorftratschen. Dabei handelte es sich um Frauen, die die schwere Bürde auf sich nahmen ihre Nachbarn, Bekannten, Verwandten und auch alle anderen, lückenlos zu beobachten. Das setzte Mut und Einsatz voraus, denn nicht immer wurde das gerne gesehen, aber seien wir uns mal ehrlich, nur von denen nicht, die was zu verbergen hatten. Sie ließen sich nicht irre machen und auch nicht verunsichern, und setzten tatkräftig ihr Werk fort. Man kann daraus ersehen, dass sie es alles andere als leicht hatten, und dennoch fuhren sie fort. Manchmal entlud sich der Volkszorn geradezu über sie, auch wenn viele es nicht wagten aufzubegehren, aus Sorge, dass diese Damen zum Gegenschlag ausholen und ein gutgehütetes Geheimnis preisgeben könnten. Doch das ist nun alles vom Tisch, denn man muss die Vorteile bedenken. Damit die Wirtschaft, die Industrie, die Gemeinde darüber informiert ist, was jemand will oder braucht, ist es von nun an nicht einmal mehr notwendig aus dem Haus zu gehen. Man sitzt in seinem Wohnzimmer und spricht über seine Bedürfnisse, und diese werden gesammelt, so dass darauf reagiert werden kann.

Lückenlose Überwachung, das bedeutet ebenso, lückenlose Bedarfserhebung und –erfüllung. Soziale Sanktionen bei Verstößen können punktgenau angebracht werden, aber auch Ratschläge und Verhaltensmaßregeln, falls jemand einmal in Erziehungsfragen z.B. nicht weiter weiß oder einfach nur vergessen hat, ob die Suppe schon gesalzen wurde oder nicht. Und jeder von uns weiß wie fürchterlich eine Suppe schmeckt, die zu viel gesalzen wurde. All diese Vorteile wurden zusammengetragen und in eben jener legendären Nacht darüber abgestimmt. In dieser Abstimmung sprach sich der Souverän einstimmig für die lückenlose Überwachung aus. Böse Zungen behaupten zwar, dass dieses Ergebnis nur zustande kam, weil auch die Wahlkabinen lückenlos überwacht wurden, aber wir wissen leider nur allzu gut, dass es immer jemanden geben wird, der eine Errungenschaft schlecht redet. Und schließlich geschieht nichts anderes, als bei Google, Amazon und Co. schon längst praktiziert wird. Ist es nicht sehr vernünftiger dies in den eigenen Händen zu behalten. Also jeder, der diesen Komfort genießen will und sich demokratiepolitisch reif genug dafür fühlt, ist herzliche eingeladen in unseren wunderbaren Ort eine neue Heimat zu finden.