1104 Alles Leben ist Wirtschaft?
(2): Wasser
Die Bedürfnisse gliedern sich also in Existenz-, Grund-
und Luxusbedürfnisse. Die Existenzbedürfnisse zeichnen sich nicht nur dadurch
aus, dass wir sie unbedingt befriedigen müssen, so weit wir die Absicht zu
haben zu überleben, was die meisten von uns wohl tun wollen, sobald sie in
dieses Leben geschickt wurden. Wir können nicht einfach sagen, ich will nicht
mehr bedürftig sein, und deshalb will ich die Luft nicht mehr brauchen und höre
auf zu atmen. Ich will mich endlich von der Willkürherrschaft des Atmens
befreien. Das wird wohl kaum lange gut gehen. So gesehen fesselt uns unser
Körper und seine Bedürftigkeit in dieser Welt, mit dieser Atmosphäre und diesen
Lebensbedingungen. Auf der anderen Seite ist es ja nun auch keine wirklich
große Sache zu atmen und wir tun es einfach, so lange man eben nicht auf die
Idee kommt dies in einer Stadt zu tun, in der die Smog-Belastung so hoch ist,
dass manchmal nicht atmen doch gesünder
sein könnte als zu atmen. Nein, wir befinden uns hier in Mitteleuropa, in einem
glücklichen Mitgliedsstaat der EU, der seine zulässigen CO2-Emissionswerte
nicht übersteigt, zumindest auf dem Papier, da er fleißig Befreiungsscheine
kauft. Ja, bei uns ist alles in Ordnung und es lässt sich frei atmen. Also
warum Sorgen machen? Frank und frei kann man durch die Felder und Wälder
streifen. Die Natur grünt und blüht, die lieben Tierchen gedeihen prächtig. All
das sehen wir doch, und trotzdem will uns ständig jemand einreden, wir hätten
ein Umweltproblem. Also ich nicht. Du vielleicht? Der Müll wird in die dritte
Welt verschifft und bei uns ist es schön. Nur mit dem Atommüll haben wir noch
ein kleines Problem, weil sich da immer ein paar in den Weg stellen um das
Verbringen zu verhindern, aber wenn wir die Augen nur lange genug zumachen,
sieht uns keiner. Das weiß doch jedes Kind. Wir können nicht nur frei atmen,
sondern auch ungestraft das Wasser trinken, das aus unseren Leitungen kommt.
Wasser dient auch der Befriedigung eines Existenzbedürfnisses, auch wenn viele
von uns vergessen haben, dass man das auch trinken kann. Limonaden,
Fruchtsäfte, Bier, Wein etc., ja, das lässt sich alles trinken, aber Wasser.
Nein, das brauchen wir zum Waschen und zum Putzen und den Garten zu bewässern.
Und der Hund, ja der Arme muss auch immer noch Wasser trinken. Die Pflanzen und
die Tiere brauchen Wasser zum Überleben. In Anlehnung an den angeblichen Spruch
von Marie-Antoinette kann gesagt werden, wenn ihr kein Wasser habt, dann trinkt
doch Limonade. Das denken sich wohl auch all diejenigen, die der Meinung sind,
es wäre doch nett, so im Winter, wenn alles grau und weiß ist, einen Farbakzent
in die Wohnung zu zaubern. Nun kann man das machen, indem man die Wände neu
streicht oder neuen Deko-Kram hineinstellt, oder – und das ist wohl die
billigste und einfachste Methode – kauf ich mir doch mal im nächsten Diskonter
rasch ein paar hübsche Rosen. Denn was ist schon all der Deko-Kram gegen echte,
lebende Blumen. Dazu kosten sie auch so gut wie nichts. € 1,99, nein, da kann
der Gärtner ums Eck beim besten Willen nicht mithalten. Da lassen wir sie doch
lieber aus Kenia einfliegen, wo sie doch so billig in der Produktion sind. Und
ganz nebenbei werden Arbeitsplätze in einem armen Land geschaffen, wo die doch
sonst ja nichts hätten. Es ist doch eigentlich schon fast nobel Blumen zu
kaufen, die in einem Land angebaut werden, das unter Wasserknappheit leidet. Eine
dieser Blumen, die unser Heim so schön im Winter schmücken, benötigt fünf Liter
Wasser für ihre Aufzucht. Was macht es denn schon aus, wenn die endemische
Bevölkerung dafür von 16.00 Uhr abends bis 8.00 Uhr kein Wasser hat, wenn sie
doch einen Job haben, bei dem sie um einen Hungerlohn 16 Stunden am Tag
arbeiten dürfen, mit dem hehren Gedanken Teil des Wirtschaftswachstums ihres
Landes sein zu dürfen. Da geht es einem doch gleich viel besser, und für den
Durst gibt es schließlich Limonade.
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