Sonntag, 9. März 2014

Kultur, 09. März 2014


Eine neue Sehenswürdigkeit

Seit wenigen Tagen verfügt unsere schöne Stadt über eine neue Sehenswürdigkeit. Mitten am Hauptplatz, direkt neben der altehrwürdigen Pestsäule, ist ein neues schönes Gebäude zu entdecken. Nach langwierigen Ausscheidungsverfahren (im wahrsten Sinne des Wortes, kennt man einmal den Zweck dieses Gebäudes), entschied sich die Stadt für eine Spiegelversion, d.h. alle vier Außenwände sind mit Spiegeln verkleidet, so dass sich die Gebäude des Hauptplatzes darin spiegeln und sie noch besser zur Geltung bringen. Eine großartige Erweiterung unseres reichen Kulturlebens.

Doch dieses Gebäude ist nicht nur kulturell wertvoll, nein, es ist auch durchaus zweckdienlich, denn es handelt sich um die neue öffentliche Bedürfnisanstalt. Wer es schafft diese zu betreten und wenige stille Minuten darin zu verbringen, will dieses Erlebnis nicht mehr missen. Wie bei allen Neuerungen waren die Menschen zunächst skeptisch, sowohl Einheimische als auch Touristen, doch schon innerhalb kürzester Zeit löste sich diese Skepsis in Wohlgefallen, wenn nicht gar in Euphorie auf.

„Ein kleiner Urlaub, mitten im Urlaub“, schwärmte eine Touristin, „Waldluft und Wärme, drinnen, spiegelnde Verspieltheit außen.“
„Ich warte nun schon seit zwei Stunden in der Schlange. Es verlangt eine gewisse Disziplin, aber ich habe es mir genau eingeteilt, dass es der rechte Moment ist, wenn ich an der Reihe bin“, erklärte ein anderer Tourist überzeugt.
„Ich mag gar nicht mehr zu Hause gehen“, erklärte ein Einheimischer und Stammgast des Gebäudes, „So schön ist es nirgends.“

Ein wahrer Boom auf diese neue Sehenswürdigkeit hat eingesetzt, bekannt gemacht über Facebook, Twitter und Co,, erfreut sich Mustermannshausen ausgebuchter Betten in sämtlichen Beherbergungsbetrieben. War es in den ersten beiden Tagen noch so, dass die Besucher ihre Besichtigungsliste einfach um diese Sehenswürdigkeit erweiterten, so ist es mittlerweile so, dass sie ausschließlich um dieser Sehenswürdigkeit willen anreisen. Man kann beobachten, dass sie am Fenster ihres Hotelzimmers stehen und den geeigneten Moment abwarten, wo ausnahmsweise keine Schlange Wartender davor steht, doch das kommt immer seltener vor. Tag und Nacht wird es gleichermaßen frequentiert. Über den kulturellen Wert hinaus, erfüllt es auch einen sozialen Zweck. Die Menschen, die hier warten, haben das selbe Ziel vor Augen, so dass sich immer ein Gesprächsthema findet. Letzens fand sogar eine Trauung vor den Toren der Bedürfnisanstalt statt.
„Hier haben wir uns kennen und lieben gelernt“, erklärte die glückliche Braut.
„Und hier wollten wir uns trauen lassen, wo uns so viele Erinnerungen verbinden, an befreiende Momente“, fügte der Bräutigam hinzu.

Doch auch hier melden sich böse Stimmen, die behaupten, dass die Stadt € 165.000,-- in dieses neue Gebäude investiert hat. Das ist natürlich eine haarsträubende Lüge, denn es handelt sich nur um lächerliche € 150,000,--. Lächerlich, nicht, weil es wenig Geld wäre, sondern weil man die positiven Auswirkungen für die Stadt, ja für die gesamte Region, negiert. Von überall her erreichen uns Dankesschreiben. Wieder einmal ist Mustermannshausen Vorreiter in einer großartigen kulturellen Sparte, die immer noch viel zu gering geschätzt wird.
„Innerhalb von einem Jahr wird sich diese Investition amortisiert haben, von der Umwegrentabilität ganz zu schweigen“, zeigt sich unser sehr verehrter Herr Bürgermeister zuversichtlich, „Denn nur Erfolge können die ewigen Nörgler zum Schweigen bringen. Aber auch an den besten Dingen werden sie immer noch ein Haar in der Suppe finden. Apropos, es wird wohl Zeit für die zweite Vormittagsjause. Ich muss mich beeilen, sonst geht sich die vor dem Mittagessen nicht mehr aus.“
Dann wollen wir unseren vielbeschäftigten Bürgermeister nicht länger aufhalten. Guten Appetit!

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