Eine neue Sehenswürdigkeit
Seit wenigen Tagen verfügt unsere schöne
Stadt über eine neue Sehenswürdigkeit. Mitten am Hauptplatz, direkt neben der
altehrwürdigen Pestsäule, ist ein neues schönes Gebäude zu entdecken. Nach
langwierigen Ausscheidungsverfahren (im wahrsten Sinne des Wortes, kennt man
einmal den Zweck dieses Gebäudes), entschied sich die Stadt für eine
Spiegelversion, d.h. alle vier Außenwände sind mit Spiegeln verkleidet, so dass
sich die Gebäude des Hauptplatzes darin spiegeln und sie noch besser zur
Geltung bringen. Eine großartige Erweiterung unseres reichen Kulturlebens.
Doch dieses Gebäude ist nicht nur kulturell
wertvoll, nein, es ist auch durchaus zweckdienlich, denn es handelt sich um die
neue öffentliche Bedürfnisanstalt. Wer es schafft diese zu betreten und wenige
stille Minuten darin zu verbringen, will dieses Erlebnis nicht mehr missen. Wie
bei allen Neuerungen waren die Menschen zunächst skeptisch, sowohl Einheimische
als auch Touristen, doch schon innerhalb kürzester Zeit löste sich diese
Skepsis in Wohlgefallen, wenn nicht gar in Euphorie auf.
„Ein kleiner Urlaub, mitten im Urlaub“,
schwärmte eine Touristin, „Waldluft und Wärme, drinnen, spiegelnde
Verspieltheit außen.“
„Ich warte nun schon seit zwei Stunden in
der Schlange. Es verlangt eine gewisse Disziplin, aber ich habe es mir genau
eingeteilt, dass es der rechte Moment ist, wenn ich an der Reihe bin“, erklärte
ein anderer Tourist überzeugt.
„Ich mag gar nicht mehr zu Hause gehen“,
erklärte ein Einheimischer und Stammgast des Gebäudes, „So schön ist es
nirgends.“
Ein wahrer Boom auf diese neue
Sehenswürdigkeit hat eingesetzt, bekannt gemacht über Facebook, Twitter und
Co,, erfreut sich Mustermannshausen ausgebuchter Betten in sämtlichen
Beherbergungsbetrieben. War es in den ersten beiden Tagen noch so, dass die
Besucher ihre Besichtigungsliste einfach um diese Sehenswürdigkeit erweiterten,
so ist es mittlerweile so, dass sie ausschließlich um dieser Sehenswürdigkeit
willen anreisen. Man kann beobachten, dass sie am Fenster ihres Hotelzimmers
stehen und den geeigneten Moment abwarten, wo ausnahmsweise keine Schlange
Wartender davor steht, doch das kommt immer seltener vor. Tag und Nacht wird es
gleichermaßen frequentiert. Über den kulturellen Wert hinaus, erfüllt es auch
einen sozialen Zweck. Die Menschen, die hier warten, haben das selbe Ziel vor
Augen, so dass sich immer ein Gesprächsthema findet. Letzens fand sogar eine
Trauung vor den Toren der Bedürfnisanstalt statt.
„Hier haben wir uns kennen und lieben
gelernt“, erklärte die glückliche Braut.
„Und hier wollten wir uns trauen lassen, wo
uns so viele Erinnerungen verbinden, an befreiende Momente“, fügte der Bräutigam
hinzu.
Doch auch hier melden sich böse Stimmen,
die behaupten, dass die Stadt € 165.000,-- in dieses neue Gebäude investiert
hat. Das ist natürlich eine haarsträubende Lüge, denn es handelt sich nur um
lächerliche € 150,000,--. Lächerlich, nicht, weil es wenig Geld wäre, sondern
weil man die positiven Auswirkungen für die Stadt, ja für die gesamte Region,
negiert. Von überall her erreichen uns Dankesschreiben. Wieder einmal ist
Mustermannshausen Vorreiter in einer großartigen kulturellen Sparte, die immer
noch viel zu gering geschätzt wird.
„Innerhalb von einem Jahr wird sich diese
Investition amortisiert haben, von der Umwegrentabilität ganz zu schweigen“,
zeigt sich unser sehr verehrter Herr Bürgermeister zuversichtlich, „Denn nur
Erfolge können die ewigen Nörgler zum Schweigen bringen. Aber auch an den
besten Dingen werden sie immer noch ein Haar in der Suppe finden. Apropos, es
wird wohl Zeit für die zweite Vormittagsjause. Ich muss mich beeilen, sonst
geht sich die vor dem Mittagessen nicht mehr aus.“
Dann wollen wir unseren vielbeschäftigten
Bürgermeister nicht länger aufhalten. Guten Appetit!
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