Sonntag, 10. November 2013

Wirtschaft, 10. November 2013


Geht nicht - gibt's nicht!


Ich hatte mir ein neues Handy gekauft, weil das alte, ja, weil es eben alt war. Ganze zwei Jahre schon, und das kratzt dann doch schon am Methusalemstatus. Und weil ich gerade so lustig war und mein alter Vertrag ausgelaufen war, verschüttet quasi, dachte ich mir, wechsel ich doch auch gleich den Anbieter, und während ich die Tarife online verglichen hatte, ging ich zu jenem Anbieter, der mir am besten gefiel. Geht nicht - gibt's nicht! So hieß es in der Werbung. Das hatte doch was. Wer war das nur, der letztens den freien Markt verteufelt hatte? Ja, das waren noch andere Zeiten, wo man als Bittsteller zur Post ging, dem damals einzigen Anbieter und Gott und allen Heiligen danken musste, wenn man Gehör fand.
Postbeamter: Was wollen Sie?
Ich: Einen Telephonanschluss, wenns recht ist.
Postbeamter: Na recht is net, aber was soll's.
Ich: Zu freundlich. Einen ganzen Anschluss. Ich habe drei Töchter.
Die Augen des Postbeamten werden starr.
Postbeamter: Werdn's net vorlaut. Ein halber tuts.
Ich: Danke vielmals.
Er drückte mir ein Paket Formulare in die Hand. Damals musste man noch was wissen. Doch ich hatte sämtliche Daten parat. Sozialversicherungsnummer? Kinkerlitzchen. Bis hin zum Vermählungsdatum der unehelichen Cousine meiner Großtante zweiten Grades hatte ich alles parat. Auch den Abstand zwischen Nasenwurzel und Haaransatz. Dazu muss gesagt werden, es handelte sich nicht um Schikane. Ist dieser Abstand nämlich größer als der zwischen Handwurzel und Ansatz Mittelfinger, den zu heben es einen wohl oft gelüstet hätte, was man allerdings nicht wagte. Heutzutage ist das anders. Da ist es ja schon fast eine Begrüßungsgeste, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass man ein Terrorist ist. Damals wusste man eben noch viel. Nachdem ich diese mindestens 100 Formulare samt Durchschlag, Anhang, Verdoppelung und Verdreifachung ausgefüllt hatte, wagte ich einen riskanten Vorstoß.
Ich: Wann kann ich mit dem Anschluss rechnen?
Nochmals taxierte mich der Postbeamte von oben bis unten.
Postbeamter: Sind's nicht so vorlaut. Sie kriegen Ihren viertel Anschluss wenn Sie ihn kriegen.
Ich: Ich dachte einen halben.
Postbeamter: Halb halbes Jahr. Ca. Kann auch später sein und das Wetter passt.
Ich: Und was zahle ich?
Postbeamter: Das werden Sie schon sehen.
Eine harte Zeit hob an. Telephananschlusskarenz durfte man sich nehmen, war man alleinstehend. Für Ehepaare und Familien galt das Ablösungsprinzip. Immer übernahm einer den Telephonanschlusswachdienst. Essens-, Schlafens- und Clozeiten beschränkte man auf ein Minimum. Geschlafen wurde aufrecht und angezogen. Denn wie ein Spürhund fand der Techniker der Post genau den Moment, in dem die Erschöpfung die letzten Kräfte aufgezehrt hatte und Unaufmerksamkeit einzog. Er läutete, und wenn man nicht innerhalb von zwei Sekunden zur Tür hastete und öffnete, war der Techniker wieder fort. Das Spiel begann von vorne. "Telephonanschluss?", fragte der Psychiater wissend, wenn man schluchzend am Hörer hing, wohlgemerkt am öffentlichen Apparat, "Paranoia oder Psychose?" So waren wohl auch die Psychiater daran interessiert das Monopol beizubehalten, aber es fiel und heute habe ich innerhalb einer halben Stunde nicht nur eine SIM-Karte in Händen, sondern noch vieles mehr. Wozu brauch ich das eigentlich? Egal, es wird schon notwendig sein. Also falle ich beim Service des entsprechenden Anbieters ein.
Servicemitarbeiter: Guten Tag! Was kann ich für Sie tun?
Ich: Ich möchte eine Nummer:
Servicemitarbeiter: Gerne. Wenn Sie nur hier Ihre Daten ausfüllen und hier unterschreiben. Sie wissen Ihre Daten nicht? Kein Problem. Wir wissen das eh alles, nur Ihren Namen, wenn es möglich wäre.
Ich: Ich wusste ihn, ich schwörs Ihnen, gerade eben wusste ich ihn noch.
Servicemitarbeiter: Atmen Sie ruhig durch, das wird schon. Sehr gut. Den Rest wissen wir, Kontodaten und PIN.
Ja, das war früher anders. Da musste man noch sämtliche Daten selber wissen, und das geschah aus rein pädagogischen Gründen. Man war gezwungen, und wir wissen ja alle, dass der Mensch nur was lernt, wenn er muss. Von Natur aus will ja der Mensch dumm bleiben.
Dann gehe ich mit meiner SIM-Karte stolz nach Hause, und merke sofort, sie passt nicht. Die SIM-Karte ist groß und das Loch klein. Am nächsten Tag fahre ich zu meinem neuen Anbieter.
Ich: Grüß Gott!
Der starre Blick der Servicemitarbeiterin geht an mir vorbei, als würde man mir ansehen, dass ich bereits Kunde bin, oder sie meditiert. Ich nehme mir ein Herz.
Ich: Die SIM-Karte geht nicht hinein. Die ist zu groß.
Wortlos nimmt sie die Karte, drückt die kleine aus der großen und schon taucht sie wieder ab in weite Ferne.
Geht nicht - gibt's nicht!
Höflichkeit - gibt's nicht!
Es lebe der freie Markt.

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