Die Frau mit dem Bart
Wir haben ganz bestimmte Bilder im Kopf wie ein Etwas hinter
einer Bezeichnung auszusehen hat. Ein Tisch ist etwas, das mit vier, wahlweise
mit drei, Füßen am Boden steht, mit einer Platte obendrauf, wo man was
draufstellen kann oder legen oder sonstiges. Ein Mensch hat zwei Beine und zwei
Arme und einen Kopf und dazwischen einen Rumpf, mit Haaren am Kopf und Zehen an
den Füßen, mit einem Hals unter dem Kopf und mit Fingern an den Händen. So
könnte man mal kurz beschreiben wie ein Mensch auszusehen hat. Natürlich gibt
es gewisse ethnische Differenzierungen, aber wer bei uns dazugehören möchte,
der zieht sich anständig an, so wie es sich gehört, bedeckt die Stellen des
Körpers, die bedeckt werden müssen und achtet möglichst nicht aufzufallen.
Natürlich kann keiner was dafür, wenn er aufgrund seiner Größe heraussticht.
Das lassen wir doch gerade mal noch gelten. Eigentlich kann ja auch keiner was
dafür, wenn er durch eine Laune der Natur einen körperlichen Defekt aufweist.
Trotzdem muss man ja da nicht unbedingt anstreifen, denn der Umgang mit einem
Menschen, dem ein Bein fehlt, der könnte doch abfärben, und wer weiß,
vielleicht wacht man eines Tages auf und das Bein ist einem abgefallen, aus
bloßer Solidarität. Dieser Gefahr muss man sich nicht unbedingt ausliefern. „Arm,
ja arm sind sie, aber ich habe ja gespendet. Damit habe ich meinen Beitrag
erfüllt“, heißt es, und der Bogen wird größer, wenn man ein gutes Gewissen hat.
Aber dann sind die körperlichen Merkmale, die sehr wohl verschuldet sind, und
zwar, selbst verschuldet sind, so wenn man übergewichtig ist, oder
untergewichtig. Da lässt sich doch schon was dagegen tun, und die sind dann
wirklich selber schuld. Ein Blick genügt, und wir wissen über alles ganz genau
Bescheid, ein Blick, und das Urteil ist gefällt, natürlich ohne dass auch nur
die Möglichkeit besteht, dass wir uns irren könnten. Der Bettler, der auf der
Straße sitzt, der ist faul. Und der mit dem Burn-out, der ist nur arbeitsscheu,
und der Aussteiger auf seinem Selbstverorgerhof in der Natur, der darf sich nicht
wundern, wenn er ausgeschlossen wird. Schließlich untergräbt er das
kapitalistische System mit seiner Missachtung von Reichtum und Konsum.
Nun ist es aber nicht damit getan, dass ein Mensch ein
Mensch ist und wir ein genaues Bild von diesem haben. Der Mensch wird weiters
differenziert. Nein, so seicht sind wir dann doch nicht in unseren Ansichten.
Es gibt durchaus Differenzierungen. Darauf können wir doch ungeheuer stolz
sein! Da ist zunächst die Differenzierung zwischen Mann und Frau. Nicht, dass sich
an der körperlichen Zusammensetzung viel ändern würde, nur gewisse Merkmale,
die müssen unbedingt vorhanden sein, damit ein Mann ein Mann oder eine Frau
eine Frau ist. Ich meine damit Merkmale wie breite Schultern, die tiefe Stimme
bei Männern, und die wohlgeformte Taille, die hohe Stimme und die Präferenz für
ein gepflegtes Äußeres bei Frauen. Das muss unbedingt sein. Und vor allem es
muss sofort erkennbar sein. Man darf nicht herumrätseln müssen. Es ist alles
genau reglementiert. Und eines der Dinge, die unverbrüchlich gelten ist, dass
Männer einen Bart haben und Frauen nicht. Und wenn jetzt da ein Mensch
daherkommt, und eine Figur hat wie ein Model, Haare wie eine Femme fatale,
Augen wie eine Schönheitskönigin, dann darf die keinen Bart haben. Das stößt
ab. Das passt nicht. Natürlich ist unser Bild ungebrochen richtig, und
natürlich ist auch dieser oder diese, was wir ja nun nicht mehr genau wissen,
ein Mensch, aber eben nicht angepasst an das, was vorgegeben ist wie ein Mann
oder eine Frau auszusehen hat. Die Eindeutigkeit geht verloren. Eine Frau mit
einer eindeutigen Insignie ein Mannes, das darf nicht sein, denn eher machen
wir den Menschen kaputt, bevor wir unser Weltbild kaputt machen lassen, denn
das stimmt. Und eine Frau hat keinen Bart.
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