Scheiße in Tüten
„Wenn der Kunde Scheiße
in Tüten will, dann verkaufen wir ihm Scheiße in Tüten“, sagte einmal vor
Jahren ein Kaufmann, eine herausragende Persönlichkeit seiner Zunft, und auch
wenn es damals noch kein Internet gab und keine sozialen Medien, so schien sich
dieser Satz doch wie ein Lauffeuer unter der Kaufmannschaft zu verbreiten, so
dass bald alle wussten, dass es keine Rolle spielte, was man den Kunden
verkauft, wichtig ist nur, dass man ihnen das verkauft, was sie wollen und das
mit einer möglichst hohen Spanne, ganz gleich ob es in irgendeiner Relation zum
eigentlichen Wert steht. Wichtig ist, was es dem Kunden wert ist. Nun weiß ich
genau, dass sich viele auf eines in diesem Satz stürzen werden. „In Österreich
spricht man österreichisch Deutsch, und sagt nicht Tüte, sondern Sackerl“,
heiße dieser Einwand, und da muss ich dann schon sagen, herzlich Glückwunsch,
Du bist mit absoluter Treffsicherheit und Zielgenauigkeit am Wesentlichen
vorbeigeschrammt. Andererseits, ist es nicht immer so, dass wir uns auf die
Nebensächlichkeiten konzentrieren und das Wesentliche außer Acht lassen,
zumindest manche von uns? Hat es irgendeine Relevanz für die Qualität eines
Liedes ob der oder die es singt einen Bart hat? Hat es irgendeine Bedeutung für
die Aussage eines Buches ob der Autor schwul oder heterosexuell ist? Hat es
irgendeine Bedeutung ob ich Tüte oder Sackerl sage, wo wir nebenbei ohne auch
nur mit der Wimper zu zucken haufenweise mit Scheiße, und das oft noch ohne
Tüte, pardon, Sackerl natürlich, überschüttet werden? Natürlich passiert das
nur, weil die Kunden das wollen, versuchen die Kaufleute ihre Vorgehensweise zu
rechtfertigen. Natürlich wissen sie, dass Menschen unter unmenschlichen
Bedingungen in Fabriken arbeiten, um unsere Konsumwünsche zu befriedigen, ohne
Krankenversicherung, ohne Urlaub oder sonstige soziale Absicherung, was für uns
natürlich selbstverständlich ist. Nein, unter diesen Bedingungen würde niemand
von uns arbeiten, wie kämen wir auch dazu. Und außerdem, die dort, weit weg von
uns, die sollen doch froh sein, dass sie überhaupt Arbeit haben, dass wir es
ihnen ermöglichen zumindest nicht zu verhungern, zumindest das, dass wir es
ihnen ermöglichen mit hundert anderen an ihrem Arbeitsplatz einen Schlafplatz
zu haben, dass sie das verfaulte Essen bekommen und auf der Straße sitzen, wenn
sie alt oder krank sind. Wo säßen sie sonst? Irgendwo auf ihrem eigenen Acker,
in einer funktionierenden Gemeinschaft, aber wer braucht das schon, wenn sie
die Ehre haben für uns Textilien zu nähen, dafür 3 cent in der Stunde verdienen
und wir diese um das hunertfache ihres tatsächlichen Herstellungswertes kaufen
dürfen. Das ist doch ein fairer Deal. Auf jeden Fall für uns, denn um die
anderen scheren wir uns nicht. Sie würden sich um uns schließlich auch nicht
scheren. Und überhaupt, sind das überhaupt Menschen? Die sehen doch so anders
aus und reden anders und haben andere Gewohnheiten. Wer weiß, vielleicht tun
wir ihnen damit wirklich was Gutes, denn schließlich kennen sie es ja nicht
anders. Wir würden sie doch bloß durcheinander bringen, wenn es ihnen möglich
wäre mehr Lebensqualität oder gar Lebensstandard zu erwerben. Das würde doch
nur den Neid schüren und das Sozialgefüge zerstören. „Wie bei uns?“, bin ich
fast versucht zu fragen, aber ich lasse es aus, und denke stattdessen daran,
dass die Scheiße wirklich offenliegt, ohne Tüte, pardon Sackerl, dafür mit
wunderschönen Emblemen wie Krokodilen, Häkchen oder Polospielern. Alles was der
Kunde will, so zumindest nach der Meinung der Kaufleute. Aber woher wissen die
Kunden was sie wollen? Na, weil es ihnen die Werbung sagt, vor allem dann, wenn
es darum geht sich von anderen zu unterscheiden, damit man gleich beim ersten
Blick den sozialen Rank sieht. Klassenunterschiede gibt es keine mehr? Ach ja
wirklich? Ich würde sagen, mehr denn je, auch wenn der Herr Bürgermeister von
Wien mit seinem neuen Polo mal wieder alles über den Haufen wirft. Und woher
weiß die Werbung was sie den Kunden zu offerieren hat? Natürlich von den
Kaufleuten, so dass sich der Kreis auf ganz magische Weise wieder schließt und
alles seine Ordnung hat. Nein, natürlich geht es um den Kunden, immer nur um
den Kunden – und um Lebensqualität und den Fortgang der Wirtschaft. Deshalb
wird Scheiße verkauft und angepriesen und gekauft.
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