Sonntag, 18. Mai 2014

Wirtschaft & Soziales, 18. Mai 2014:

Scheiße in Tüten


 „Wenn der Kunde Scheiße in Tüten will, dann verkaufen wir ihm Scheiße in Tüten“, sagte einmal vor Jahren ein Kaufmann, eine herausragende Persönlichkeit seiner Zunft, und auch wenn es damals noch kein Internet gab und keine sozialen Medien, so schien sich dieser Satz doch wie ein Lauffeuer unter der Kaufmannschaft zu verbreiten, so dass bald alle wussten, dass es keine Rolle spielte, was man den Kunden verkauft, wichtig ist nur, dass man ihnen das verkauft, was sie wollen und das mit einer möglichst hohen Spanne, ganz gleich ob es in irgendeiner Relation zum eigentlichen Wert steht. Wichtig ist, was es dem Kunden wert ist. Nun weiß ich genau, dass sich viele auf eines in diesem Satz stürzen werden. „In Österreich spricht man österreichisch Deutsch, und sagt nicht Tüte, sondern Sackerl“, heiße dieser Einwand, und da muss ich dann schon sagen, herzlich Glückwunsch, Du bist mit absoluter Treffsicherheit und Zielgenauigkeit am Wesentlichen vorbeigeschrammt. Andererseits, ist es nicht immer so, dass wir uns auf die Nebensächlichkeiten konzentrieren und das Wesentliche außer Acht lassen, zumindest manche von uns? Hat es irgendeine Relevanz für die Qualität eines Liedes ob der oder die es singt einen Bart hat? Hat es irgendeine Bedeutung für die Aussage eines Buches ob der Autor schwul oder heterosexuell ist? Hat es irgendeine Bedeutung ob ich Tüte oder Sackerl sage, wo wir nebenbei ohne auch nur mit der Wimper zu zucken haufenweise mit Scheiße, und das oft noch ohne Tüte, pardon, Sackerl natürlich, überschüttet werden? Natürlich passiert das nur, weil die Kunden das wollen, versuchen die Kaufleute ihre Vorgehensweise zu rechtfertigen. Natürlich wissen sie, dass Menschen unter unmenschlichen Bedingungen in Fabriken arbeiten, um unsere Konsumwünsche zu befriedigen, ohne Krankenversicherung, ohne Urlaub oder sonstige soziale Absicherung, was für uns natürlich selbstverständlich ist. Nein, unter diesen Bedingungen würde niemand von uns arbeiten, wie kämen wir auch dazu. Und außerdem, die dort, weit weg von uns, die sollen doch froh sein, dass sie überhaupt Arbeit haben, dass wir es ihnen ermöglichen zumindest nicht zu verhungern, zumindest das, dass wir es ihnen ermöglichen mit hundert anderen an ihrem Arbeitsplatz einen Schlafplatz zu haben, dass sie das verfaulte Essen bekommen und auf der Straße sitzen, wenn sie alt oder krank sind. Wo säßen sie sonst? Irgendwo auf ihrem eigenen Acker, in einer funktionierenden Gemeinschaft, aber wer braucht das schon, wenn sie die Ehre haben für uns Textilien zu nähen, dafür 3 cent in der Stunde verdienen und wir diese um das hunertfache ihres tatsächlichen Herstellungswertes kaufen dürfen. Das ist doch ein fairer Deal. Auf jeden Fall für uns, denn um die anderen scheren wir uns nicht. Sie würden sich um uns schließlich auch nicht scheren. Und überhaupt, sind das überhaupt Menschen? Die sehen doch so anders aus und reden anders und haben andere Gewohnheiten. Wer weiß, vielleicht tun wir ihnen damit wirklich was Gutes, denn schließlich kennen sie es ja nicht anders. Wir würden sie doch bloß durcheinander bringen, wenn es ihnen möglich wäre mehr Lebensqualität oder gar Lebensstandard zu erwerben. Das würde doch nur den Neid schüren und das Sozialgefüge zerstören. „Wie bei uns?“, bin ich fast versucht zu fragen, aber ich lasse es aus, und denke stattdessen daran, dass die Scheiße wirklich offenliegt, ohne Tüte, pardon Sackerl, dafür mit wunderschönen Emblemen wie Krokodilen, Häkchen oder Polospielern. Alles was der Kunde will, so zumindest nach der Meinung der Kaufleute. Aber woher wissen die Kunden was sie wollen? Na, weil es ihnen die Werbung sagt, vor allem dann, wenn es darum geht sich von anderen zu unterscheiden, damit man gleich beim ersten Blick den sozialen Rank sieht. Klassenunterschiede gibt es keine mehr? Ach ja wirklich? Ich würde sagen, mehr denn je, auch wenn der Herr Bürgermeister von Wien mit seinem neuen Polo mal wieder alles über den Haufen wirft. Und woher weiß die Werbung was sie den Kunden zu offerieren hat? Natürlich von den Kaufleuten, so dass sich der Kreis auf ganz magische Weise wieder schließt und alles seine Ordnung hat. Nein, natürlich geht es um den Kunden, immer nur um den Kunden – und um Lebensqualität und den Fortgang der Wirtschaft. Deshalb wird Scheiße verkauft und angepriesen und gekauft.

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