Zweiklassenmedizin |
Allen das Gleiche, manchen das Gleichere
Marianne W., 23 Jahre alt,
Mutter zweier Kinder im Alter von zwei und vier Jahren, ist Hausfrau. Ihr Mann,
der für den Lebensunterhalt der Familie sorgt, arbeitet als Maurer. Durch Fleiß
und Sparsamkeit konnten sie eine Wohnung mit einem kleinen Gärtchen erwerben,
in dem sie nun glücklich leben. Jennifer H., ebenfalls 23 Jahre alt und
Studentin der Altphilologie, Tochter des allseits bekannten und bewunderten
Industriemagnaten H.H., bewohnt in der Stadt, in der sie studiert, eine
großzügiges Penthouse mit Pool und Dachterrasse in einem der nobelsten Viertel
und hat es mit dem Studium nicht allzu eilig, da es in absehbarer Zeit nicht
notwendig sein wird, dass sie sich ihren Lebensunterhalt durch so etwas
Schnödes wie Arbeit verdienen muss.
Marianne W. ist glücklich mit
ihrer Familie und dem, was sie sich aufgebaut haben.
Jennifer H. ist unstet und
depressiv, niemals zufrieden mit dem, was sie hat.
Das kling nicht nur
klischeebeladen, das ist es auch. Und doch ist es die Wahrheit.
Anfang des Jahres erhielten
beide dieselbe Diagnose von ihrem Arzt: Krebs.
Marianne W.s Arzt ist ein
normaler Krankenkassenarzt.
Jennifer H.s Arzt ist ein
hochbezahlter Spezialist, der privat bezahlt wird.
Nun, bis auf die Tatsache,
dass der eine Arzt von der Krankenkasse sein Honorar erhält, und der andere von
seinen gutbetuchten Privatpatienten, dürfte es eigentlich keinen Unterschied
machen. Oder doch?
Marianne W. wartete 5 Wochen
auf ihren MR-Termin.
Jennifer H. wartete 5 Stunden
auf den selben Termin.
Marianne W. starb ein halbes
Jahr nach der Erstellung der Diagnose.
Jennifer H. befindet sich auf
dem Weg der Besserung.
Marianne W. hinterließ zwei
kleine Kinder und einen Mann, der nun nicht weiß wie er seine Kinder versorgen
soll, denn er muss nach wie vor arbeiten gehen und auch noch die Pflichten
seiner verstorbenen Frau übernehmen. Abgesehen davon, dass die Kinder nun
Halbwaisen sind und ihre Mutter schmerzlich vermissen.
Jennifer H. beklagt den
Verlust ihres seidig weichen Haars und der Unversehrtheit ihres straffen,
wohlgeformten Körpers, der durch die Chemotherapie ausgemergelt wirkt und die
eine oder andere Operationsnarbe trägt.
Marianne W. wartete
vergeblich auf eine entsprechende Behandlung.
Jennifer H. hadert mit den
Folgen einer umgehenden Behandlung.
So verfügen wir über eines
der besten Gesundheitssysteme der Welt und auch wenn jetzt der eine oder andere
denken mag, dass es sich um Ungerechtigkeiten handelt, so muss dem
entgegengehalten werden, dass vom pragmatischen wirtschaftlichen Standpunkt aus
das Überleben der Jennifer H. von weitaus größerer Bedeutung war, da diese sehr
viel mehr ins System einzahlt, als sie dasselbe kostet. Darüber hinaus muss
auch die Gesamtlebenszeit und Konsumpotenz nicht außer Acht gelassen werden.
Marianne W. hätte während
ihres Lebens mehr Kosten verursacht als sie Nutzen gebracht hätte.
Jennifer H. bringt während
ihres Lebens mehr Nutzen für Staat und Gesellschaft als sie Kosten verursacht.
Wer es schafft sich endlich
von diesem weinerlich, emotionalen Denken zu verabschieden und konstruktiv an
die Sache herangeht, versteht auch die Notwendigkeit dieses Vorgehens, das auch
ab und an Opfer fordert.
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