Moderne Hexen
Besorgniserregende Zustände nehmen unseren schönen,
mustergültigen Ort in Beschlag. Der ansässige Apotheker war den Tränen nahe,
als er sich an jenem Morgen in den Wilden Ochsen schleppte, denn er sah nur
mehr einen Ausweg aus seiner miserablen Situation, die darin bestand, dass er
sich zwar einen neuen Maserati kaufen konnte, aber nun die Gefahr bestand, dass
die Garage nicht mehr gebaut werden würde, da ihm schlicht und ergreifend die
Mittel fehlten. Und was war schuld an der ganzen Misere? Diese Kräuterhexe,
diese vermaledeite, die die Menschen nicht nur mit Heilmittel versorge, nein,
sie machte sie auch tatsächlich gesund. Das war überhaupt nicht im Sinne des
Erfinders. Dem musste so schnell wie möglich ein Ende gesetzt werden. Nicht
zuletzt wegen seinem Maserati, dem nicht zugemutet werden konnte, dass er im
Freien Wind und Wetter ausgesetzt sein sollte, aber auch wegen all der armen
Renditeeinheimser der Pharmaindustrie, die ihre Felle davonschwimmen sehen
mussten, würden die Menschen wirklich gesund werden. Gesund, was für eine
schreckliche Vorstellung.
„Max“, begann er deshalb sein Plädoyer gegenüber dem
Bürgermeister, der gerade sein zweites Frühstück beendet hatte und
dementsprechend guter Laune war, „Wir müssen dem Treiben dieser Dame so schnell
wie möglich ein Ende setzen.“
„Aha“, entgegnete der Bürgermeister gedehnt und sah seinen
alten Freund mit müden Augen an, „Und warum?“
„Stell Dir vor, mit Medikamenten ist es so“, begann der
Apotheker seine Erklärung, der sich durchaus darüber im Klaren war, es langsam
und so einfach möglich halten zu müssen, „Da gibt es große Firmen, die lange
Jahre der Forschung bezahlen um ein für die Menschen wirksames Mittel auf den
Markt zu bringen. Viele Menschen sind an dieser Entwicklung beteiligt und auch
viele Tiere, die mit Freude ihr Leben opfern. Das kostet viel Geld, das wieder
verdient werden muss. Damit das Geld wieder verdient werden kann, müssen die
Menschen die entsprechenden Krankheiten im entsprechenden Ausmaß haben. Also
z.B. Kopfschmerzen. Da kommt der Arzt ins Spiel. Er diagnostiziert,
Kopfschmerzen. Dann verschreibt er das Mittel, das ihm am meisten ans Herz
gelegt wurde. Mit dem Rezept kommt der Mensch in die Apotheke, wovon ich mein
karges Leben friste. Doch das Medikament darf gerade so viel Nutzen zeigen,
dass der Mensch sich besser fühlt, aber dennoch die Kopfschmerzen immer wieder
kommen. Das nennt man dann chronisch, was dazu führt, dass er das Medikament
über Jahre weiternimmt. Alle sind zufrieden, die Pharmazie, die immer mehr
verkauft, der Arzt, der ohne Arbeit immer wieder was verschreiben kann, der
Apotheker, der davon recht und schlecht leben kann und der Patient, der immer
wieder eine Erleichterung erfährt, aber dennoch an seine Endlichkeit gemahnt
wird. Doch jetzt kommt diese Kräuterhexe, die sich einfach irgendein Heilkraut
aus der Natur holt, das dort einfach gratis wächst, gibt es gratis weiter und
die Menschen werden geheilt, einfach so. Alle verlieren. Die Pharmaindustrie
kann nichts verkaufen. Der Arzt hat keine Patienten und der Apotheker keine
Kunden. Und nicht nur das, die gibt das Wissen auch noch weiter. Wenn das so
weitergeht, dann geht alles zugrunde, denn die Menschen werden davon gesund,
also richtig, so dass sie nichts mehr brauchen. Zum Schluss sind sie auch durch
das Wissen so unabhängig, dass sie sich das Mittel selbst holen können. Und es
gibt keine Nebenwirkungen, die überhaupt das schönste sind, denn dann kann man
auch was gegen die Nebenwirkungen verkaufen. Dieser Unsitte muss ein Ende
gesetzt werden, sofort. Du musst ihr verbieten die Menschen gesund zu machen
und auch, dass je wieder jemand weiß, dass das geht.“
„Nun, das verstehe ich sehr gut“, erklärte der Bürgermeister
gemütlich, „Aber es ist gar nicht notwendig, das wird schon in der EU
vorbereitet und die ersten Scheiterhaufen errichtet.“
Zufrieden zog der Apotheker ab, in der wohlbegründeten
Hoffnung nun doch bald seinen Maserati in Sicherheit bringen zu können.
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